Den Finger am Puls der Craft-Bier-Szene

Immer anfangs Jahr, im Januar oder Februar, veröffentlicht Bierversuche.ch eine Zusammenfassung ihrer wirklich gross angelegten Jahresrückblicks-Umfrage in der Craftbier-Szene. Den Fragebogen bekommen Ein- und Verkäufer von Off- und Online-Shops, Vertriebler und Aussendienstmitarbeiter, Betreiber von Craftbier-Bars, Hobby- und Berufsbrauer von Craftbier-Brauereien (sowohl national als auch international) sowie Biersommeliers. Kurz gesagt: Bierfachleute aus jeder Branche. Dieses Blogpost ist für Craft-Bier-Fans jeweils interessant zu lesen, da es die Trends sehr schön aufzeigt. Dabei deckt sich das Konsumverhalten und die Wahrnehmungen üblicherweise im Grossen Ganzen mit unseren Beobachtungen. Nicht so dieses Jahr.

2019 – Ein Stillstands-Jahr

Der Untertitel des diesjährigen Posts lautet „2019 war ein Jahr der Sättigung und des Stillstandes.“ Das überraschte mich auf den ersten Blick schon ein wenig. Denn wir nehmen das in unseren Läden doch etwas anders wahr. Und das, was wir in den Läden wahrnehmen, deckt sich mit den Ergebnissen unseres neuen Tools „Der Schweizer Bier-Index“, den wir ebenfalls letztes Jahr entwickelt haben. Wir haben unser ganzes Sortiment in Craft-Biere und kommerzielle Biere unterteilt und konnten eine deutliche Zunahme der Craft-Biere feststellen. In der aktuellen Ausgabe sieht man ein starkes Wachstum im Verkauf bei den Craft-Bieren. Und wir merken, dass sich immer mehr Leute für das Thema interessieren. Während gewisse Massenmedien immer noch vom „Komasaufen der Jugend“ schwadronieren, obwohl der Alkoholkonsum seit Jahren kontinuierlich rückläufig ist, stellen wir fest, dass sich gerade auch Junge für qualitativ hochstehende Biere interessieren. Der Trend geht immer mehr in Richtung weniger trinken, dafür besser. Interesse an Craft-Bier kommt auch immer mehr von Leuten, die das Ganze erst entdecken, also von nicht eingefleischten Bierfans. Das wird im Bierversuche-Artikel zwar erwähnt, (ja, auch ich durfte an dieser Umfrage teilnehmen) und eine weitere Person sieht das auch so, aber ansonsten beklagt sich der Post im Grossen und Ganzen eher über die Stagnation in der Craft-Bier-Szene.

Craft-Bier ist heute für jeden

Aber weshalb ist das bei uns so anders? Ehrlich gesagt überrascht mich das gar nicht so gross. Dass das demnächst passieren wird, war wohl allen klar. In der letzten Zeit wurden neue Bierstile bis zum „Gehtnichtmehr“ erfunden und kombiniert. Irgendwann hat man es halt gesehen. Ob es nach den „normalen“ IPAs, den Double-, Trippel-, Imperial-, Dry Hopped, Double Dry Hopped-, East Coast-, West Coast-, New England-, White-, Black- und Sour IPAs nun auch noch Brut IPAs braucht, darüber lässt sich streiten. Mich persönlich stört das allerdings wenig und uns als Laden auch nicht. Denn im Gegensatz zu der „Craft-Bier-Szene“ sprechen wir nicht primär die Bier-Nerds an, die eh schon alles kennen, sondern eher den „Mainstream“. Leute, die gerne Bier trinken. Gerne auch gutes Bier trinken und offen sind für eine Alternative zu ihrem Stammbier. Natürlich kommen auch Bier-Nerds und Craft-Bier-Fans zu uns, die sich sehr über unsere Auswahl freuen, aber der ganz grosse Teil unserer Kunden weiss gar nicht, was für ein breites Spektrum an Bier es überhaupt gibt. Diese Art von Biertrinkern zu Craft-Bier-Fans zu konvertieren, das sehen wir bei Drinks of the World als unsere Aufgabe.

Sättigung heisst nicht Stillstand

Auch wenn sich jetzt letztes Jahr nicht allzu viel in der Craft-Bier-Szene in Sachen Innovation getan hat und man eine gewisse Sättigung spürt, heisst das noch lange nicht, dass die Craft-Bier-Reise hier endet. Im Gegenteil: Es wird, so meine Prognose, ein kleines Umdenken stattfinden müssen. Die Konsumenten bestimmen mit ihrer Nachfrage das Angebot. Immer mehr Menschen entdecken Craft-Bier erst jetzt, und das wird den Brauereien nicht entgehen. Vielleicht wird sich dieses Jahr die Szene wieder etwas mehr auf leckere Einsteigerbiere fokussieren, anstatt immer noch verrücktere Biere zu kreieren.

Welche Biere bringt der Sommer?

Ich durfte mich gerade letztens mit unserem Team durch die „Sommerkollektionen“ von drei verschiedenen Brauereien degustieren und wir haben folgende Trends erkannt: Da waren wirklich viele leichte und süffige Biere dabei, wovon einige schon als „wässerig“ bezeichnet werden konnten. Zu Unrecht natürlich. Aber klar, wenn man gerade in einer Phase steckt, in der man die Böcke und Doppelböcke oder die Stouts und imperial Stouts bevorzugt, kommt einem ein Session Pale Ale oder ein Session IPA dünn vor. Allerdings passen diese ganz wunderbar in den Sommer und sie könnten wirklich einen neuen Trend hervorrufen. Zudem waren auch einige Fruchtbiere dabei von IPA über Weizen bis zur Berliner Weisse, bei denen der Fruchtgeschmack nicht, wie so oft, dominiert, sondern eher dezent und harmonisch zwischen den Hefe-, Malz- und Hopfennoten eingebettet lag. Und dann werden die Sauerbiere generell wieder etwas anziehen, jeden Sommer wieder ein Bisschen mehr, bis sie irgendwann so etabliert sein werden, wie die IPAs. (Jedenfalls träume ich davon…)

Die nächsten Jahre werden spannend

Ja, da wird sich in den nächsten paar Jahren noch viel tun und ich beobachte die Entwicklungen sehr gerne und mit grossem Interesse. Und natürlich trinke ich all diese neuen Craft-Biere auch sehr gerne. Jetzt zum Beispiel werde ich mir eine Berliner Weisse gönnen. Aber ohne Sirup.

Und damit ein grosses Prost: Möge die „Craft-Bier-Welle“ weiter rollen und uns mit neuen, wenn auch etwas gemässigteren Innovationen, auch in Zukunft überraschen.

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