Deshalb verdient jedes Bier eine zweite Chance

Gut, diesen Titel muss ich kurz erklären: Gemeint sind Biere, die wir einmal probiert haben und die uns dann nicht schmeckten. Die Chance ist nämlich gar nicht mal so klein, dass wir sie beim zweiten Anlauf mögen (einige brauchen vielleicht sogar einen dritten oder eine grössere Zeitspanne zwischen dem ersten und zweiten Anlauf, aber wie gesagt, die Chance, dass wir das Bier das nächste Mal mögen, ist wirklich gross.

Man muss erst auf den Geschmack kommen

Beim «Biergeschmack» spielen verschiedene Faktoren zusammen. Über einige habe ich ja bereits im Artikel «Frauen und Bier» und «Warum wir kein Lieblingsbier haben» ausführlich geschrieben. Einerseits müssen wir uns erst einmal an fremde Aromen gewöhnen. Und diese Gewöhnung braucht, wie alles andere auch, seine Zeit. Was die Gewöhnung betrifft, ist aber jeder Mensch unterschiedlich. Beispielsweise ich, ein leidenschaftlicher Bierliebhaber, kenne von Pils über Weizen und Imperial Stouts bis hin zu Sour Ales so ziemlich alles. Und trinke natürlich worauf ich gerade Lust habe und wonach mir der Sinn steht. Kurz, meine Liste an Bier-Erfahrungen ist ziemlich lang und ich bin mich allerhand gewohnt. Da gibt es in meinem Gaumen nur noch selten eine Überraschung.

Unerwarteten Geschmäckern sind wir eher abgeneigt

Dennoch – die Kombinationen von Aromen sind natürlich schier unendlich und gerade die Craftbier-Brauer spielen damit, stiluntypische Kreationen auf den Markt zu bringen. Da kann dann ein Lager schon mal nach einem Pils oder ein Pils nach einem IPA schmecken. Oder ein Kürbisbier ist eine Zimtbombe und ein Doppelbock hat plötzlich 15 «Umdrehungen». Kurz gesagt, unser Gaumen trifft zwar nicht auf etwas komplett Fremdes, aber doch auf etwas, das nicht den Erwartungen entspricht und so empfindet er diesen unerwarteten Geschmack als «nicht so gut».

Die Bierreife ist wie das Musikgehör

Ein weiterer Faktor ist die nicht ganz einfache Zugänglichkeit. Dies lässt sich ganz gut mit der Musik vergleichen. Ohrwürmer mit einschlägigen Melodien und Refrains, gefallen uns sofort. Oft können wir sie nach dem ersten Hören bereits mitsingen. Allerdings werden Ohrwürmer recht schnell langweilig, und gehen uns nach dreimonatigem, täglichem Gedudel am Radio auf die Nerven. Auf der anderen Seite gefallen uns komplex aufgebaute Stücke, wie beispielsweise von Queen oder Pink Floyd, heute fast besser, als damals. Noch offensichtlicher wird es bei Jazz oder Klassik. Stile, die den wenigsten von uns in der Jugend gefallen haben. Die Aussage, «Klassik ist was für ältere Leute» stimmt. Das war allerdings schon immer so, denn das Musikgehör wird mit zunehmender «Erfahrung» reifer. Und genau so ist das auch beim Bier.

Jeder trinkt das, was zur momentanen Bierreife passt

In der Jugend, also am Anfang der «Bierlernkurve» trinkt man eher Sachen wie Salitos oder Eve und später dann «richtiges» Bier. Aber ich erinnere mich noch gut, wie ich, obwohl ich schon immer experimentierfreudig war und gerne verschiedenen Biere ausprobiert habe, mit zwanzig Jahren noch überhaupt nichts mit den belgischen Bierstilen anzufangen wusste. Ein Geuze zum Beispiel fand ich richtig «grusig». Trotzdem habe ich alles immer wieder probiert und heute zelebriere ich den Genuss eines so komplexen Bieres wie beispielsweise das «Orval» und Biere wie das «Mort Subite» gehören zu meinen Lieblingen.

Stimmung, Wetter, Launen – Alles hat einen Einfluss

Im Artikel «Warum wir kein Lieblingsbier haben» dreht es sich, unter anderem, um das so genannte „Mood Pairing“, welches Bier zu welcher Stimmungslage passt. Das ist natürlich heikel, wenn wir etwas Neues ausprobieren wollen, denn wenn wir nicht in Stimmung sind, dann schmeckt uns möglicherweise ein bestimmtes Bier einfach nicht. Dreht sich die Stimmung, wandelt sich auch unser Geschmack und es kann sehr gut sein, dass uns genau dieses Bier dann plötzlich unglaublich gut schmeckt. Ohne eine zweite Chance hätten wir damit ein tolles Bier verpasst. Aber es kommt nicht nur auf die Stimmung an, auch das ganze Umfeld, inklusive Wetterlage, spielt eine Rolle. Dies alles könnten mögliche Ausschlaggeber sein, dass jemandem ein bestimmtes Bier nicht schmeckt.

Die zweite Chance lohnt sich fast immer

Beim ersten Mal kennt man das Bier noch nicht. Man hat entweder keine Erwartungen oder, und das ist viel öfter der Fall, unbewusst falsche Erwartungen. Wenn wir das Bier nun ein zweites Mal trinken, das darf ruhig auch ein halbes Jahr später sein, kennen wir es und haben deshalb ganz automatisch andere Erwartungen. Auch wenn wir in der Zwischenzeit vergessen haben, wie es wirklich schmeckte, ist die Chance gross, dass wir es dieses Mal mögen, weil wir in einer ganz anderen Situation sind.

Offen gesagt, jedem Bier mehre Chancen zu geben, lohnt sich wirklich. Wie oft ist es mir schon passiert, dass ich mir beim Genuss des Feierabendbieres gesagt habe: «Wow wie lecker, bitteschön, ist das denn?» und das obwohl ich es bereits kannte.

So. Feierabend. Jetzt steige ich mal in die Tiefen meines Bierkellers und suche mir etwas aus, das ich wirklich schon sehr lange nicht mehr getrunken habe…

Prost.

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