Wir machen uns allerhand Gedanken über die Craft-Bier-Welle, die Craft-Bier-Bewegung und was wohl der nächste grosse Hype und Trend denn bringen möge. Das ist sicher ein interessantes, blog-würdiges und ein sich nie erschöpfendes Thema, denn kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein neues Rad wiedererfunden und eine neue Craft-Kreation ihren Weg in unsere Gläser findet. Dass Craft-Bier eine Wissenschaft für sich ist und, dass Craft-Bier eine vielfältige Leidenschaft ist, darüber sind sich wohl alle einige.
Wovon reden wir, wenn wir Craft-Bier-Welle sage?
Doch wenn wir schon dauernd von der Craft-Bier-Bewegung und -Welle reden, dann müsste man annehmen, dass wir uns alle einig sind, weshalb und wie es zu einer solchen Craft-Bier-Bewegung kommt. Dass dem nicht so ist, zeigt sich in der ganz einfachen Frage, was denn Craft-Bier-Bewegung konkret heisst. Heisst es, dass mehr Craft-Bier getrunken wird, heisst es, dass mehr Craft-Bier gebraut wird? Beides? Wirklich? Das würde ja bedeuten, dass die Ausweitung einer Menge (Craft-Bier) automatisch zu einem Thema und zu einer Bewegung führt. Wenn dem so wäre, dann müssten wir ja überall von der Früchte-Welle und der Früchte-Bewegung lesen, denn erwiesenermassen konsumieren wir heute wesentlich mehr und vielfältigere Früchte als noch vor 20 Jahren. Naja, es gibt zwar ein paar Blogs über Früchte, aber als grossen Hype würde ich das trotzdem nicht bezeichnen.
Wo kommt Craft-Bier her?
Vor ein paar tausend Jahren war Bierbrauen Frauensache – kurz gesagt, fast jede Küche war eine Mikrobrauerei, die nach folgendem Rezept Bier braute: 1. Nur beste Zutaten (man muss es ja selber trinken). – 2. Man braute immer wieder, perfektionierte, experimentierte und lernte. 3. Gebraut wurde in kleineren Chargen (Familie und Familienfeste).
Ein Bisschen später kamen die Mönche. Auch die brauten Bier, und zwar nach folgendem Rezept: 1. Nur beste Zutaten (schlechtes Bier gibt Prügel von den restlichen Kloster-Bewohnern) – 2. Perfektionieren, experimentieren und lernen war Kult. – 3. Brauen in kleineren Chargen für die Kloster-Bewohner.
Von der «privaten» Braumeisterin bis zu den Mönchen reden wir über vier- bis fünftausend Jahre. Und diese Biere waren, nach heutiger Definition, Craft-Biere. Und dass mal ein Bier in die Hosen geht, gehörte genauso dazu, wie das laufende Verbessern, Experimentieren und Lernen. Kurz, Craft-Bier hat 4000 Jahre Geschichte (eigentlich 6000 Jahre aber das macht keinen Unterschied mehr), denn noch craftiger, resp. handwerklich, kann ein Bier ja wohl nicht sein, als wenn es in der eigenen Küche oder in der eigenen Klosterbrauerei gebraut wird. Das ist Craft-Bier in Reinkultur!
Craft-Bier machte nur mal kurz Pause
Nach etwa 4000 Jahren Craft-Bier-Geschichte kam die industrielle Revolution, in der Unternehmen, respektive kommerzielle Brauereien, den wachsenden Bierbedarf einer wachsenden Bevölkerung abdeckten und bis heute abdecken. Das war in etwa ab 1770 der Fall. Das bedeutet, dass 4000 Jahren Craft-Bier-Geschichte lediglich 250 Jahre Nicht-Craft-Geschichte gegenüberstehen. Auf den Punkt gebracht, heisst das, 94% der Bier-Geschichte ist Craft-Bier und nur maximal 6% ist industrielles Bier (wohl eher nur 4%).
Und, was geht heute ab zum Thema Craft-Bier? Wir machen wieder genau das, was wir bereits 4000 Jahre lang gemacht haben: Wir brauen Craft-Bier. Der einzige Unterschied zu früher ist, dass wir heute einsehen, dass es sowohl ein Bedürfnis für «kommerzielles Bier» wie auch für Craft-Bier gibt. Oder anders gesagt, wir brauchen beides, denn mit Craft-Bier alleine liesse sich der «Durst der Welt» nicht löschen.
Es gab nie eine Craft-Bier-Welle und wird sie auch nie geben
Was wir heute als Craft-Bier-Welle wahrnehmen ist demnach keine Welle, sondern das, was schon immer war. Im besten Fall ist die heutige «Welle» eine Rückbesinnung, wenn überhaupt. Wir empfinden es lediglich als «neue Welle», weil Craft-Bier gerade mal kurz Pause hatte und während knapp 200 Jahren fast nur kommerzielles Bier erhältlich war. Somit herrscht heute keine neue Welle, sondern lediglich viertausend-jähriger Normalzustand mit einer zusätzlichen Variante, dem «Kommerz-Bier».
Abschliessend, und zur Beruhigung für all jene, die jetzt den Kopf schütteln und sagen, dass kommerzielles Bier nicht bloss eine Variante von Craft-Bier ist, da sehr viel mehr kommerzielles Bier in Litern produziert wird als Craft-Bier. Bei Bier ist die Messlatte «Qualität», «Kreativität», «Vielfalt» und «Innovation». Wie viel von einem Bier produziert wurde, also Quantität, ist dabei wohl eher Nebensache. War immer so, ist jetzt so und wird auch immer so bleiben.
Ein Prost auf die 4000-, 5000- oder 6000-jährige Konstanz des Craft-Biers!